Karl Valentin und NLP

„Ich freue mich, wenn es regnet- Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“

Dieses Zitat des großen Karl Valentin begleitet mich schon seit langer Zeit. Es spielt in pointierter und humorvolle Art und Weise auf die Sinnlosigkeit an sich über Dinge zu ärgern die nicht in unserem persönlichem Einflussbereich liegen.

Doch wie kam Karl Valentin eigentlich zu dieser Aussage? War es die pure Lust am Spiel mit der Sprache, die achtsame Beobachtung seiner Mitmenschen und Verdrehung ihrer Sichtweisen und Behauptungen, eine tiefe innere Überzeugung oder einfach sein wunderbarer Humor?

Karl Valentin und NLP

Im Rahmen dieses Essays wollen wir ein augenzwinkerndes Gedankenexperiment wagen und uns vorstellen, Karl Valentin wäre nicht zufällig zu dieser Einstellung gekommen, sondern wie der Ursprung in einem fiktiven Gespräch mit seines ebenfalls fiktiven Freundes Eric M. Kolonist liegt.
Für dieses Gedankenexperiment begeben wir uns auf eine Zeitreise und werden zu Beobachtern eines Treffen der beiden. Heute würden wir diese Art von Gespräch als Coaching bezeichnen und Karls Freund wäre augenscheinlich ein sehr gut ausgebildeter Coach, der bewusst verschiedene NLP Techniken zielgerichtet und wirkungsvoll einsetzen kann.

Ein halbes Jahrhundert bevor Richard Bandler und John Grinder begonnen haben die Grundlagen von NLP zu sammeln und niederzuschreiben, wären die von Eric M. Kolonist intuitiv angewandten Techniken tatsächlich revolutionär gewesen. Vielleicht würden wir seinen Namen heute auch in einem Atemzug mit den drei großen Magiern der Therapie Virginia Satir, Milton Erickson und Fritz Perls nennen.

Während wir jetzt gemeinsam auf der Zeitlinie fast 100 Jahre in die Vergangenheit reisen, hören wir zuerst den Jubel als Ende 1989 die Deutsche Teilung endet, sehen die farbenfrohen und friedvollen Happenings der Hippie – Ära und spüren die Erschütterungen des 2. Weltkrieges. Wir kommen an einem grauen und kalten Märztag in den frühen 1920er Jahren in München Giesing an und sehen wie Karl, den Kragen seines schwarzen Mantels hochgeschlagen, sich mit schnellen Schritten der Wohnung seines Freundes Eric M. Kolonist nähert. Obwohl es beruflich sehr gut läuft und Karl für seine ersten Auslandsauftritte in Zürich und Wien gefeiert wird, ist seine Laune nicht die Beste. Schon seit längerem fällt es ihm schwer etwas Neues aufs Papier zu bringen und der nasse und kalte Frühling tut sein Übriges.

Beobachten wir nun das Gespräch der beiden in Erics Studierzimmer. Sie sitzen auf zwei bequemen Lehnstühlen, halb zueinander gedreht, nur leicht getrennt von einem kleinen Tischchen auf das sie  ihr Bier gestellt haben. Augenscheinlich herrscht eine sehr gute Gesprächsatmosphäre, wir sehen wie sich die Körperhaltungen ähneln und wie Eric mit den ausladenden Gestiken seines Freundes zeitversetzt mitgeht.

Der hier beschrieben Gleichklang von Klient (Karl) und Coach (Eric) ist nicht zufällig entstanden und ist sogar ein bewusstes Mittel des Coaches zur Gesprächsführung. Im NLP bezeichnen wir dieses Gefühl des Gleichklangs als Rapport. Eine Ursache hierfür ist zum einen das freundschaftliche Verhältnis der beiden, es kann aber auch durch bewusste Techniken des Coaches herbeigeführt und verstärkt werden. Im allgemeinen sprechen wir hier vom sogenannten Spiegeln. Um den Zustand des Rapport zu erreichen spiegelt der Coach die Körpersprachen des Klienten. Beispiele hierfür sind die Sitzhaltung, Bewegungen, Mimik, Tonlage, Lautstärke, Atmung und vieles mehr. Allerdings kann und soll Pacing auch auf verbaler Ebene erreicht werden. Geeignete Beispiele hierfür sind das Paraphrasieren (d.h. das Wiederholen der Aussagen des Klienten mit den Worten des Coaches) oder eine Wortwahl die dem Weltmodel des Klienten entspricht (s.a. Repräsentations-Systeme).

Fokussieren wir uns jetzt auf das Gespräch der beiden. Karl beschreibt in bildhafter Sprache seine gegenwärtige Situation – alles ist irgendwie schlecht. Seine Ehe ist zerrüttet, die Affäre mit seiner Kollegin kostet immer mehr Energie, die Kritiken zu Hause sind ungerecht, dass Bayern kein Königreich mehr ist schlägt ihm aufs Gemüt und bei dem schlechten Wetter und Dauerregen bekommt er grundsätzlich schlechte Laune und wenn er schlecht gelaunt ist fallen ihm einfach keine neuen Stücke ein – und das ist ja auch schließlich das aller Schlimmste.

Hier wird Eric hellhörig und stellt eine einfach Frage: „Wie macht der Regen das denn genau dass Du nicht mehr schreiben kannst?“

Karls Reaktion ist erstaunlich und auch körperlich wahrnehmbar. Tatsächlich hat ihn diese simple Frage verwirrt. Wie kann eine alltägliche und banale Situation so viel Macht über ihn haben?

Was ist hier genau passiert? Die automatische Bedeutungsgebung X (Regen) = Y (Schreibblockade)
wird im Meta-Modell der Sprache auch als komplexe Äquivalenz bezeichnet und ist eine sogenannte Generalisierung. Eine Einzelerfahrung wird zum Vorbild und Blaupause für weitere ähnlich gelagerte Ereignisse, obwohl es keinen real kausalen Zusammenhang zwischen X und Y gibt. Solch eine Verletzung des Sprachmodels, zusammen mit Tilgungen und Verzerrungen, können dem Coach Einblicke in das Weltbild des Klienten geben. Mit den passenden Fragetechniken gelingt es dem Coach von der sogenannten Oberflächenstruktur des Gesprochenen zur Tiefenstruktur der Bedeutung vorzudringen. Solche Meta-Modell Fragen können auch starke emotionale Reaktionen hervorrufen und sollten nur angemessen eingesetzt werden.

Für Eric ist die Situation klar, da der Zusammenhang von Regen und Schreibblockade ja ausschließlich in Karls Bild von der Welt begründet liegt. Daher muss hier der Hebel angesetzt werden. Denn der Klimawandel ist damals noch fern und somit ist von weiteren Schlechtwetterperioden auszugehen.

Eric bittet seinen Freund mit ihm eine kleine Übung zu machen. Hierfür markiert er drei Positionen auf dem schweren Dielenboden und bittet Karl sich auf die erste Position zu stellen und nochmals, aber nur kurz, sich vorzustellen wie ihm beim letzten Regen partout nichts eingefallen ist. Nun bewegen die beiden sich auf die zweite Markierung und Karl soll sich nun selbst, aus der Position eines Zuschauers betrachten, wie er einfallslos an seinem Schreibtisch sitzt. Außerdem soll er auch beschreiben welche Fähigkeit in diesem Moment gefehlt hatte. Karl braucht nicht lang, es war eindeutig fehlende Kreativität – und das obwohl er doch in schon unzähligen Situationen von Kreativität durchströmt war. Mit dieser Erkenntnis begeben sich die beiden auf die dritte Position im Raum und Eric hilft Karl sich nochmal voll und ganz in einen Moment der Kreativität zu begeben.
Als Eric einen seligen Ausdruck auf dem Gesicht seines Freundes erkennt, berührt er ihn leicht an der Schulter. Während er Karl wieder zur allerersten Markierung führt, spricht er ruhig und fast schon hypnotisch auf ihn ein und beschreibt wie er den nächsten Regen wahr nehmen wird.
Als Karl seine Augen wieder aufmacht und an den nächsten Regen denkt fällt es ihm schon deutlich schwerer das unangenehme Gefühl der Einfallslosigkeit wieder her zu holen. Er beschreibt sogar eine gewisse Verwirrung als er sich versucht das Bild wieder herzuholen.

Die Technik, bzw. das Format das hier vom Coach eingesetzt wurde nennen wir im NLP Mini-Change.
Es ist eine Variante der Ankertechniken. Gemeinsam haben diese Formate das wünschenswerte Fähigkeiten, sogenannte Ressourcen, abrufbar gemacht werden. Sei es nun durch einen kinästhetischen Reiz, z.b. Druck auf eine bestimmte Körperstelle (s.a. Moment of Excellence), Visualisierung (s.a. Circle of Excellence) oder wie in diesem Fall durch die Verknüpfung mit einer bestimmten Situation.

Das weitere Gespräch von Karl und Eric hat für uns keine weitere Bedeutung und wir verlassen langsam wieder das Giesing der 1920er Jahre und kehren in unsere Zeit zurück.

Natürlich beschreibt dieses Gedankenexperiment nur eine mögliche Technik aus dem großen Werkzeugkasten des NLP. Es wären auch andere Techniken angemessen gewesen um die Blickwinkel und somit die konkrete Realität des Klienten positiv zu beeinflussen. Vor allem Techniken aus dem Reframing bzw. des Teile Verhandelns hätten hier zum Erfolg führen können. Aber wir wollen an dieser Stellen schließen und noch Raum für weitere Essays im Zuge meiner NLP Ausbildung lassen.

Und was macht eigentlich Karl Valentin?
An einem warmen Frühsommer Abend, nur kurze Zeit nach dem Treffen mit seinem Freund Eric M. Kolonist, sitzt Karl an seinem Schreibtisch in seiner kleinen Wohnung in der Münchner Au und schaut aus dem offenem Fenster. Hinter der Mariahilf Kirche sieht man die schwarzen Wolken des ersten Sommergewitters des Jahres aufziehen und die ersten Tropfen klatschen auf das Steinpflaster. Karl nimmt seinen Bleistift, lächelt und schreibt ….

„Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“

Autor des Beitrages: Karl Valentin und NLP / Markus Hofmann, Absolvent unserer Premium- Practitioner- Ausbildung, Frühjahr 2021